Der interreligiöse Dialog – Erfahrungen und Perspektive (für die Maria Montessori Grundschule Hausen)

In den Schuljahren 2011/12 und 2012/13 besuchten unsere zwei Söhne die Maria-Montessori-Schule in Stuttgart-Hausen. Unsere Söhne sollten so die deutsche Sprache und Kultur, also die Kultur eines Teiles ihrer Ahnen, kennenlernen, da sie bis dahin in Jerusalem aufgewachsen waren. Im Laufe des Schuljahres 2012/13 trat die Rektorin der Maria-Montessori-Schule, Dr. Angelika Müller-Zastrau, mit der Bitte an mich heran, mich an der  Interreligiösen Steuergruppe zu beteiligen. Ich willigte gerne von Neugierde und Interesse getrieben ein.

Intuitiv war mir damals sofort klar, daß der interreligiöse Dialog eine gute Sache ist, dennoch möchte ich hier einige kurze Überlegungen zur Relevanz und Wichtigkeit des interreligiösen Dialoges anstellen sowie zu seiner Problematik.

Im Mittelpunkt des interreligiösen Dialoges sollte immer das stehen, was uns als Menschen unterschiedlicher Konfessionen und Religionen verbindet: der Glaube an Gott. Um diesen Dialog fruchtbar zu führen, ist es nötig, daß jeder sich von dogmatischen und theologischen Spitzfindigkeiten seiner eigenen religiösen Praxis entfernt und das Gemeinsame aller Gottgläubigen in das Zentrum religiösen Denkens stellt. So wird den Schülern, aber auch uns Erwachsenen, deutlich, daß wir — jenseits aller kulturspeziefischen partikulären Ausgestaltung von Glaubensinhalten und historisch-dogmatischen Abgrenzungen von Gottesbild und Gottesverständnis — alle im Ebenbild Gottes geschaffen sind und deshalb als Einheit und in Einheit den einen Gott verehren.

Darin liegt die Wichtigkeit und Relevanz des interreligiösen Dialoges. Schüler erleben, daß Juden, Christen und Muslime gemeinsam vor Gott stehen. Dies steht im Gegensatz zu den Nachrichten, die sie im Fernsehen sehen, wo Religionen als feindlich und aggressiv auftreten. Die persönliche Realität wird so prägend und hinterfragt traditionelle Denkmuster und vermeintlich sebstverständliche Feindschaften. Anstelle des Vorurteils tritt das gegenseitige Kennen und Erleben im religiösen Raum. Deshalb ist es auch wichtig, der interreligiösen Feier eine klare religiöse und nicht allgemein ethische Ausrichtung zu geben.

Hier eröffnet sich aber auch schon die Problematik des interreligiösen Dialoges. Deutschland ist heute ein Land, in dem die große Mehrheit Religion nicht mehr lebt. Beim interreligiösen Dialog geht es also heute nicht nur darum, den Schülern ein religiöses Gemeinschaftserlebnis jenseits der Struktur ihrer eigenen Religion aber in deren religionsgesetzlichen Grenzen zu eröffnen, sondern auch darum, Schülern mit marginaler religiöser Erfahrung ein positives religiöses Erlebnis, wie es die Verfassung des Landes Baden-Württemberg als Auftrag der Schule sieht, zu ermöglichen.

Der interreligiöse Dialog per se setzt nun aber auch die Präsens verschiedener Religionen im schulischen Alltag vorraus. Wir dürfen annehmen, daß es an den meisten Schulen neben einer wachsenden Gruppe von religionsfernen Schülern, Kinder gibt, die den christlichen oder muslimischen – soweit er denn angeboten werden kann – Religionsunterricht besuchen. Die Grundvorraussetzung für den interreligiösen Dialog besteht folglich. Gerne vertrat ich den jüdischen Part im interreligiösen Dialog. Dies hatte sicherlich auch zu der Zeit, da unsere Söhne  die  Maria-Montessori-Schule besuchten, seine Berechtigung. Was aber tun, wenn es an einer Schule keine jüdischen Schüler gibt? Ohne Zweifel hat der interreligiöse Dialog immer da seine  Berechtigung, wo mehr als eine Religion vertreten ist. Man wird dann eben aber auf eine jüdische Vertretung verzichten müssen. Es soll ja beim interreligiösen Dialog in erster Linie nicht darum gehen, Vertreter der Religionen zu sammeln, damit diese dann ihre ganz spezifische Sichtweisen einbringen. Der interreligiöse Dialog soll die Menschen veranlassen zu begreifen, daß es ein Miteinander in Gott gibt. Der interreligiöse Dialog ist nicht das spritzige theologissche Wortgefecht, sondern das einfache Gebet vor Gott ohne Unterschied der religiösen Provenienz.

Ich selbst hatte bisher das Glück und die Ehre an zwei interreligiösen Feiern an der Maria-Montessori-Schule mitwirken zu dürfen. Im Laufe der Arbeit in der Steuergruppe zeigte sich deutlich, mit welchen Schwierigkeiten bei der Organisation einer interreligiösen Feier zu rechnen sind. Als großes, wenn nicht sogar größtes, Problem erwies sich, daß sich viele Menschen in Deutschland von Religion als solcher entfernt haben. So war während der Arbeit auch der Wunsch geäußert worden, auf eine religiöse Ausgestaltung ganz zu verzichten und stattdessen die Feier ethisch-humanistisch auszugestalten. Dies war natürlich ein systemathischer Denkfehler, der schnell und mit viel Fingerspitzengefühl von der Rektorin, Dr. Müller-Zastrau, korrigiert wurde, der dennoch die Arbeit der Steuergruppe empfindlich störte.

Für die reibungslose Arbeit der Steuergruppe halte ich es heute für wichtig, daß die Steuergruppe ein feststehendes Team ist, welches sich regelmäßig (wenigstens drei bis vier mal vor jeder interreligiösen Feier) trifft. Die Steuergruppe sollte nicht zu groß sein und sie sollte über einen längeren Zeitraum Bestand haben, da die inhaltliche Abstimmung um so leichter fällt, je vertrauter einander die Mitglieder sind.

Die interreligiösen Feiern selbst waren an der Maria-Montessori-Schule immer ein besonderes Ereignis, das ich um nichts missen möchte. Die anwesenden Schüler, Eltern, Lehrer und Gäste nahmen aktiv am Geschehen teil. Als besonderen Gewinn sah ich immer, daß die gesamte Feier, abgesehen von einigen Liedern, ausschließlich auf Deutsch abgehalten wurde. Während der Vorbereitung wurde oft der Wunsch geäußert, die kulturellen Ressourcen der Schule abzuschöpfen, will heißen, Segenswünsche in verschiedenen Sprachen einzubinden. Dabei würde man jedoch nur das Trennende, die Unterschiede der Sprache, hervorheben, anstatt das Einende zu betonen. Mit Schülern aus aller Herren Länder und mit unterschiedlichen Religionen erweist sich eben gerade die deutsche Sprache, die alle sprechen und alle verstehen, als einend und Unterschiede überbrückend. Nur auf Deutsch wird die interreligiöse Feier zu einem einenden Erlebnis in Gott.

Es ist deshalb auch wichtig sich auf eine einheitliche deutsche Terminologie zu einigen. Nach langem Überlegen und einigem inneren Ringen, bin ich zu der Ansicht gelangt, daß bei den „interreligiösen Feiern“ ausschließlich von „Gott“ gesprochen werden sollte. Jüdische Vertreter – und da nehme ich mich selbst nicht aus – verwenden lieber den Begriff „der Ewige“, und Moslems sprechen lieber von „Allah“. Eigentlich ist dagegen nichts einzuwenden, wenn alle ganz genau wissen, wovon gesprochen wird. An der Schule und im Rahmen einer Feier ist dies aber verfehlt. Es ist nämlich zu befürchten, beim Unbedarften entstehe der Eindruck, die Vertreter der Religionen seien sich eben doch nicht so ganz einig, und der theologisch Geschulte sei versucht, darin unterschiedliche Gottesauffassungen zu sehen. Dies gilt es unter allen Umständen zu vermeiden.

Abschließend möchte ich noch bemerken, daß die Erarbeitung eines Themas für die interreligiösen Feiern und die Vorbereitungen großen Einsatz von Seiten der Schüler und Lehrer erfordern. Es wäre illusorisch anzunehmen, die interreligiösen Feiern ließen von heute auf morgen alle Vorurteile dahinschmelzen. Den wirklichen Wert des interreligiösen Dialogs wird erst die Zukunft bringen. Jedoch reicht, meines Erachtens, alleine die Aussicht, daß eines Tages die Menschen, die diesen interreligiösen Dialog erlebt haben, den Haßpredigern jeder Religion entgegenstehen können und deutlich sagen werden: „Ich weiß, dass wir gemeinsam vor Gott stehen und beten können.“ Alleinig diese Aussicht auf eine tolerante Zukunft lohnt die Anstrengung.

Shimshon Bar Yehuda

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