In der Maria-Montessori-Grundschule Hausen begleitet ein Schulhund eine Klasse durch den Unterricht. Durch seine bloße Anwesenheit bringt er den Kindern Dinge bei, die mit Worten allein manchmal gar nicht so leicht zu erklären sind. Den Wert von Regeln und Ordnung etwa. Oder emotionale und soziale Fähigkeiten. Und selbst, wenn er nur schlafend im Körbchen liegt, vermittelt der Hund den Schülern etwas: Ein Gefühl von Sicherheit.

„Das erste Lebewesen im Weltall war ein Hund“ steht in einer Sprechblase, die zwischen den Bildern von Merkur und Jupiter an der Wand des Klassenzimmers befestigt ist. Sie steigt aus dem Kopf von Chaplin, einem gutmütigen Vierbeiner mit langen Schlappohren, dessen Bild am Rande des Planetensystems befestigt ist. Doch der ist mit seinem Gedankengang noch längst nicht am Ende. „Ich war es nicht“ steht in der Sprechblase darunter und, was soll man sagen, man glaubt es ihm sofort.

Chaplin, ein immerhin schon 11-jähriger Basset Hound, scheint sich am wohlsten in seinem Körbchen neben der Tafel zu fühlen. Jeden Tag kommt er mit der Lehrerin Nicole Stuhlmüller in die Maria-Montessori-Grundschule Hausen und begleitet sie mit ihren 23 Schülern durch den Alltag. Das Körbchen steuert er gleich morgens um acht an. Einmal richtig eingerollt, schließt er erst einmal genüsslich die Augen, während die Schüler der gemischten Klasse 3 und 4, die ihre Augen erst vor wenigen Stunden mehr oder weniger mühsam geöffnet haben, still in das Klassenzimmer eintrudeln.

Dass ein Hund eine Klasse durch den Unterricht begleitet, ist bislang eher noch eine Ausnahme im Schulbetrieb. Eine Statistik darüber, wie viele Hunde in Stuttgarter Schulen eingesetzt sind, gibt es nicht, meint Matthias Schneider, der Geschäftsführer der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Baden-Württemberg. „Doch die Tendenz nimmt zu und dort, wo Hunde mit von der Partie sind, erhalte ich meist sehr positive Rückmeldungen von Seiten der Lehrer und Eltern.“ Ein Hund könne eine motivierende Bereicherung für den Unterricht sein, argumentieren viele Befürworter dieses Konzepts. Er könne die Schulzufriedenheit erhöhen, das Klassenklima verbessern und soziale Lernprozesse fördern. „Es ist nicht nur Schnickschnack, einen Hund mit in die Schule zu bringen,“ meint Schneider. Stattdessen geht er davon aus, dass das Konzept in Zukunft eine stärkere Rolle spielen wird.

Die Kinder sind dem Hund zuliebe ruhig

In der Maria-Montessori-Grundschule Hausen steht jetzt erst einmal Freiarbeit auf dem Stundenplan. Der Satz „Auch Chaplin verkleidet sich für die Schulfeier“ soll in die Zeitformen Präsens, Präteritum und Futur umgewandelt werden. Außerdem beugen sich die Kinder über Buchbeurteilungen und Rechenrahmen. Dass es bei dieser Freiarbeit auffallend still und aufgeräumt zugeht, ist dabei sicherlich nicht allein Chaplin zuzuschreiben, der sich hin und wieder in seinem Körbchen dreht und gewichtig seufzt. Träumt er vom Weltall?

Und doch attestiert ihm die Klassenlehrerin, die ihre Ausbildung für tiergestützte Pädagogik und Therapie am Institut für soziales Lernen mit Tieren in Hannover gemacht hat, eine wichtige Rolle dabei. „Ich muss eigentlich selten für Ruhe sorgen, wenn ich mit ihm komme,“ sagt sie. „Mit ihm an der Seite kann ich besser argumentieren, warum ich kein Rumgehüpfe und Geschrei haben möchte. Die Kinder sind dann nicht mir, sondern dem Hund zuliebe ruhig.“

Ein Prinzip, das sich durch viele Momente des Schulalltags mit Hund zu ziehen scheint. Chaplin verdeutlicht den Kindern ganz ohne Worte und Ermahnungen, warum Ruhe, Ordnung, Rücksichtnahme und die Einhaltung von Regeln wichtig sind. Es geht ihm sonst nicht gut. Und das wollen die Kinder nicht. „Vor Kurzem musste Chaplin im Unterricht spucken, weil er ein Muffinpapier gegessen hat, das nach einer Geburtstagsfeier noch auf dem Boden herumlag“, erzählt ein Mädchen und wirbelt sich aufgeregt ihren Zopf um den Zeigefinger. Da hatten alle Kinder Mitleid mit Chaplin. „Ihnen ist durch den Vorfall bewusst geworden, wie wichtig es ist, dass im Klassenzimmer kein Müll auf dem Boden liegt“, erklärt Frau Stuhlmüller. Jetzt achten sie auf herumliegende Kleinteile und verstauen ihre Frühstücksboxen nach dem Essen immer schnell in ihre Schulranzen.

„Der verantwortungsvolle Umgang mit Chaplin stärkt die Kinder und das wirkt sich auch insozialer und emotionaler Hinsicht aus.“

Nicole Stuhlmüller, Lehrerin an der
Maria-Montessori-Grundschule Hausen

 

Auch andere Regeln haben sie verinnerlicht, weil sie wissen, dass sie Chaplin damit etwas Gutes tun. Wenn er schläft, lassen sie ihn in Ruhe, ist er wach, dürfen ihn höchstens zwei Kinder streicheln. Nach ihm rufen darf nur die Lehrerin und in der Pause dürfen ihn immer nur zwei ausgewählte Kinder an der Leine führen. „Der verantwortungsvolle Umgang mit Chaplin stärkt die Kinder“, meint Stuhlmüller, „und das wirkt sich auch in sozialer und emotionaler Hinsicht aus.“

Ein Schulhund mildert Extreme

Mit dieser Ansicht steht sie nicht alleine da. Die Psychologin Dr. Andrea M. Beetz aus Erlangen hat zu verschiedenen Aspekten der Mensch-Tier-Beziehung geforscht und ist zu dem Schluss gekommen, „dass ein Schulhund die Kinder mehr in den Durchschnitt des Verhaltens bringt und Extreme abmildert: Er schafft es gleichzeitig, das eine Kind hinsichtlich von Motivation und Kommunikationsverhalten zu aktivieren und das andere zu deaktivieren und ihm zu physiologischer Ruhe und Entspannung zu verhelfen.“

So kann ein Schulhund für introvertierte Kinder etwa die Funktion eines „Türöffners“ haben. „Ein Kind, dem es schwerfällt, Freundschaften zu schließen, ist spätestens dann nicht mehr allein, wenn es mit Chaplin auf dem Pausenhof steht“, sagt Stuhlmüller. „Dann kommen die anderen Kinder auf es zu und die Kontakte entstehen ganz unkompliziert.“ Schüchterne Kinder lernen, deutliche Anweisungen zu geben und ihre Körpersprache zu reflektieren, da Chaplin sonst nicht auf ihre Kommandos reagiert. Und Kinder, die sonst eher laut und ungestüm auftreten, lernen im Umgang mit dem Tier, sensibler zu sein und ihre Impulse zu kontrollieren.

Sozialer Stress wird reduziert

Auch der soziale Stress im Klassenzimmer wird reduziert. „Das fängt schon an, wenn Chaplin im Stuhlkreis jedes einzelne Kind begrüßt und reicht bis zu der Situation, wenn er sich zu einem Kind in der Leseecke legt, dem es nicht gut geht.“ Der Hund fährt das Level der Anspannung herunter. Ob es daran liegt, dass er die Schüler nicht bewertet, sondern mit all ihren Stärken und Schwächen akzeptiert? Egal, ob sie gute oder schlechte Noten haben, Markenklamotten tragen oder die vom großen Geschwister, Mauerblümchen oder Klassen­clowns sind?

Ein Hund bewertet nicht

Für Andrea Beetz sind „evolutionär alte Prozesse“ dafür ausschlaggebend: „Ein ruhiger Hund in unserer Umgebung zeigt Sicherheit an: Kein Fressfeind nähert sich, kein Erdbeben droht. Daher können wir uns entspannen. Dazu kommt, dass durch den Körperkontakt beim Streicheln Oxytozin ausgeschüttet wird, ein Bindungshormon, das auch Stress reduziert und Vertrauen schafft.“

Trotzdem mahnt Beetz an, dass die Idee eines Schulhundes nicht bedeutet, „dass jetzt jeder Lehrer einfach seinen Wuffi mitnehmen kann.“ Ein genauer Blick auf das Tier, sowie ein pädagogisches Konzept und eine gründliche Ausbildung gehörten dazu, damit ein Hund „richtig wirken kann“. Auch Matthias Schneider plädiert dafür, schon im Vorfeld alle Beteiligten mit in die Entscheidung einzubeziehen und gegebenenfalls Ängste abzubauen.

In der „Klasse mit dem Hund“, wie sie in der Schule nur noch genannt wird, werden jetzt die Arbeitsblätter ein- und die Vesperboxen ausgepackt. Das Klacken der Verschlüsse reihum dringt auch in das Traumland von Chaplin ein und sendet ihm das wichtige Signal: Fressen! Abrupt öffnet er die Augen, erhebt sich aus seinem Körbchen und trabt von Kind zu Kind, um zu sehen, was die Eltern ihm heute mitgegeben haben. Hier und da fällt eine Kleinigkeit für ihn ab, dann lässt er sich zu den Füßen eines Jungen nieder. Ein paar Streicheleinheiten abholen zwischen quietschbunten Schulranzen. Dass er bei dieser Geschichte im Weltraum keine tragende Rolle gespielt hat, scheint für ihn in diesem Moment völlig klarzugehen.

Von Anne Kraushaar

 

BUCHTIPPS:

Andrea Beetz

Hunde im Schulalltag: Grundlagen und Praxis, München 2012, 24,90 Euro

Julius, Beetz, Kotrschal, Turner, Uwnäs-Moberg

Bindung zu Tieren: Psychologische und neurobiologische Grundlagen tiergestützter Interventionen, Göttingen 2014, 29,95 Euro

 

 

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